Tertiär in Mitteldeutschland
Zwischen Land und Meer – Mitteldeutschland im Paläogen (Alttertiär)
Im ausgehenden Mesozoikum, in der Oberkreide, waren große Teile Mitteleuropas vom Meer bedeckt. Im Elbtal bei Dresden oder am Nordrand des Harzes findet man noch heute die fossilreichen Sedimente dieses Oberkreidemeeres, dessen Ausdehnung aber noch deutlich weiter reichte als die heutigen Vorkommen von marinen Kreideablagerungen. Rund 75 Millionen Jahre liegt das inzwischen zurück. In diesem Zeitraum ist vieles wieder abgetragen worden und spurlos verschwunden – ein normaler geologischer Vorgang.
Mit Beginn des Paläogens (Alttertiärs) vor rund 65 Millionen Jahren begann ein neuer Zyklus mariner Geschichte. Schritt für Schritt eroberte sich die damalige Nordsee größere Gebiete und drang dabei aus dem heutigen Norddeutschland immer weiter nach Miteldeutschland vor. Sie musste auf ihrem Weg alte Hochgebiete überwinden, während Tiefländer und Täler/Auen damaliger Flüsse ein Einfallstor für die Meeresvorstöße bildeten. Im Oligozän erreichte die Nordsee ihre maximale Ausdehnung nach Süden und überflutete weite Teile Mitteldeutschlands. Im nachfolgenden Miozän folgten einige weitere Transgressionen bis weit in den Süden, bevor sich die Nordsee im höheren Miozän allmählich auf ihre heutige Ausdehnung zurückzog .
Fossilreiche Sedimente erlauben einen Einblick in die wechselvolle Geschichte der Nordseefaunen. Klimaentwicklung, eustatische Meeresspiegelschwankungen und Änderungen der Paläogeographie sind wesentliche Einflussfaktoren für den Wandel der Nordseefaunen.
Fundorte
In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Fundorte in Mitteldeutschland neu bearbeitet worden. Dazu gehören Tagesaufschlüsse, in denen Grabungen und Aufsammlungen erfolgten, aber auch Tiefbohrungen. Bohrkerne bieten eine gute Gelegenheit, Fossilien aus Schichten in anderweitig unerreichbarer Tiefe zu gewinnen. Einen überblick über besonders interessante Aufschlüsse finden Sie hier.
Im Kalksteintagebau des Zementwerks Karsdorf (Unstrut) wurden fossilführende eozäne Karstschlottenfüllungen untersucht.
Faunen
Unsere Region ist besonders reich an Fossilien aus dem Zeitraum Obereozän bis Oligozän. Schon Beyrich (1853-1856) und Philippi (1846-1847) beschrieben zahlreiche Mollusken von Magdeburg und Umgebung. Nachdem Koenen (1889-1894) über 700 Arten von Mollusken und Brachiopoden aus dem Unteroligozän damaliger Fassung (Latdorfium s. str.) beschrieben hat, sah es lange Zeit so aus, als sei damit das Potential ausgeschöpft. Neue Grabungen, Aufsammlungen und Fossilien aus Bohrkernen lieferten aber so viel Neues, dass man von einem Neustart in der Bearbeitung sprechen kann. Da die Herausgabe der großen Unteroligozän-Monographie von Koenen inzwischen über 100 Jahre zurückliegt, ergibt sich natürlich auch die Notwendigkeit einer aktuellen Revision der früher beschriebenen Taxa. Mehr darüber erfahren Sie hier. Bildergalerien vermitteln einen Einblick in die Vielfalt der Nordseefaunen in Mitteldeutschland vor etwa 25-35 Millionen Jahren.
Der Fossilreichtum mariner Sedimente aus Obereozän und Oligozän speist sich aus zahlreichen Organismengruppen. Hier der Zahn von Otodus angustidens (ein großer Hai) aus dem Tagebau Espenhain südlich von Leipzig (1), eine Schnecke (Alvania sp.) aus den unteroligozänen Felslitoralen von Mammendorf (2), eine Krabbe (Coeloma) aus dem Tagebau Zwenkau südlich von Leipzig (3) und eine unregelmäßig gewundene Schnecke (Siliquaria) aus dem Latdorfium von Atzendorf.
Zeitreise: Geochronologie und Biostratigraphie
Geologische Prozesse lassen sich nur dann einigermaßen realitätsnah rekonstruieren, wenn deren zeitlicher Ablauf ermittelt werden kann. Man muss also Gesteine datieren und von Aufschluss zu Aufschluss altersmäßig korrelieren können. Obwohl es heute eine Vielzahl von Möglichkeiten der Datierung gibt, spielen Fossilien und die auf ihnen basierende Biostratigraphie immer noch die Hauptrolle in der praktischen Arbeit. Die Evolution der Organismen sorgt für einen permanenten Wandel in der Biosphäre. Neue Arten entstehen, andere sterben aus. Der erste Nachweis neu erscheinender Arten, die Artlebensdauer und das Aussterben von Arten bilden wichtige Eckdaten für die Biostratigraphie. Mit ihrer Hilfe ist ein recht präziser Kalender der Erdgeschichte entwickelt worden, gestützt auch auf radiometrische Datierungen mit absoluten Altersangaben.
Zwischen Magdeburg, Halle und Leipzig sind in den Braunkohletagebauen fossilreiche marine Sedimente freigelegt worden. Sie lieferten artenreiche Faunen der tertiären Nordsee aus einem Zeitraum von 40 bis 25 Millionen Jahren vor heute. Schon vor rund 150 Jahren bildeten diese reichen Faunen die Grundlage zur Definition (Beyrich, 1856) des Oligozäns als letzte Abteilung des Paläogens („Alttertiärs“). Inzwischen erlaubt das jüngst gesammelte Fossilmaterial hochauflösende biostratigraphische Datierungen und Korrelationen.
Am Anfang biostratigraphischer Arbeit stehen Profildokumentation und Probennahme (1). Holoplanktische Flügelschnecken (Pteropoden) können in dünnen, nur wenige Zentimeter mächtigen Horizonten in Massen auftreten (2). Solche Biomarker-Horizonte oder Bioevent-Horizonte bilden hervorragende biostratigraphische Leithorizonte. Creseis cincta (3) ist eine biostratigraphisch wichtige Art aus dem Latdorfium.
Paläogeographie und Paläobiogeographie
Eustatische Meeresspiegelschwankungen und tektonische Bewegungen der Erdkruste sorgen für ein ständigen Wechsel der Meeresausdehnung. Besonders in den flachen Randbereichen eines Meeresgebietes führt dieser Wechsel von Transgression und Regression für den Aufbau wechselhafter Schichtenfolgen. Parallel dazu entstehen zuweilen marine Verbindungen zu anderen Meeresgebieten, in deren Folge ein Faunenaustausch stattfinden kann. Dann tauchen in unseren tertiären Faunen plötzlich „Exoten“ auf, die man nicht aus älteren Schichten kennt. Spiegelbildlich dazu können natürlich vom Meer bedeckte Gebiete landfest werden. Dann bietet sich landbewohnenden Pflanzen und Tieren eine neue Chance zur Ausbreitung. Diese Vorgänge lassen sich in paläogeographischen Karten darstellen. Wenn man die Floren und Faunen benachbarter Räume in ihrer zeitlichen Abfolge kennt, kann man sogar die Ausbreitung fossiler Organismen rekonstruieren und kartenmäßig darstellen. Letztlich ist die heutige Situation mit der Verteilung von Land und Meer sowie den Floren- und Faunenprovinzen auch nur eine Momentaufnahme der weiteren Entwicklung der Erde.
Kartenskizzen zur Meeresausdehnung im Unteroligozän Mitteldeutschlands.
Paläoklima und eustatische Meeresspiegelschwankungen
Insgesamt war das Känozoikum eine recht warme Zeit. Im Paläogen lagen die Durchschnittstemperaturen oft erheblich über dem heutigen Niveau. Im Neogen setzte sich dieser Trend bis zum mittelmiozänen Klimaoptimum fort, wenn auch nicht mehr auf dem Niveau wie im Eozän. Unter stärkeren Schwankungen ging es dann deutlich abwärts mit den Temperaturen. Im Pleistozän („Eiszeit“) wurde das heutige Niveau phasenweise deutlich unterschritten. Ein besonders markanter Klimawechsel liegt an Grenze Eozän/Oligozän. Während im Obereozän noch sehr warme Verhältnisse herrschten, kühlte es sich im Oligozän deutlich ab, wobei es aber immer noch wärmer war als heute. Fossile Seekühe, Seeschildkröten und diverse andere Tiergruppen sind in einem borealen Meer wie der heutigen Nordsee nicht vorstellbar. Dennoch: Der starke Aufschwung laubwerfender Bäume („arktotertiäre Flora“) zu Lasten der immergrünen Gruppen deutet auf stärkere Saisonalität mit Wintern hin, in denen gelegentlich auch einmal Frost auftreten konnte. In Mitteldeutschland manifestiert sich dieser rasche Wandel im scharfen Faunenwechsel von der „Latdorf-Fauna“ zur „Rupel-Fauna“ oder von der eozänen immergrünen Flora zur laubwerfenden arktotertiären Flora.
Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden vor allem tektonische Bewegungen (Epirogenese) als Ursache für das Wechselspiel mariner Transgressionen und Regressionen angenommen. Erst in jüngerer Zeit ist das Auf und Ab des Meeresspiegels als wesentliche Ursache erkannt worden. Diese eustatischen Meeresspiegelschwankungen hängen von vielen Faktoren ab: globaltektonischen Entwicklungen (beispielsweise Volumen ozeanischer Becken, Aktivität von Riftzonen etc.). Ein prominenter Faktor ist die Volumenbilanz der verschiedenen Aggregatformen des Wassers: was ist flüssig unterwegs, was als Wasserdampf und wie viel Wasser ist als Eis in polaren Eiskappen gebunden. Hochgebirgsgletscher spielen in der Gesamtbilanz nur eine untergeordnete Rolle, ebenso die temperaturabhängige Ausdehnung der Wasserkörper. In den großen känozoischen Meeresspiegelschwankungen bildet das klimaabhängige Eisvolumen der Polkappen einen wesentliche Faktor, zunächst das der Antarktis, später auch das der Nordpolarregion (vor allem Grönland).
Weitere Informationen folgen.
1: Eingekieselter Horizont (harte Bank im Bild) in obereozänen Schichten am Fuchsberg bei Morl nördlich von Halle (Saale). Solche „Tertiärquarzite“ sind gute Paläoklimaindikatoren. 2: Otolithen (Gehörsteinchen) von Bythitidae (lebendgebärende Brotulas) aus dem Latdorfium von Atzendorf. Diese Fischgruppe ist heute in warmen Meeren beheimatet. 3: Otolith eines Froschdorsches (Raniceps tuberculosus). Raniceps kommt eher in kühleren Gewässern vor. 4: Rekonstruktion der unteroligozänen Flutung des Flechtinger Rückens NW Magdeburg während eines eustatischen Meeresspiegelanstiegs.